Lesen lernen besteht darin, alle für das Lesen notwendigen Teilleistungen einzeln und in ihrer koordinierten Abfolge beherrschen zu lernen.

Der Lesefluss

Der sich ergebende Lesefluss hängt vom Lernfortschritt des Kindes und dem zu lesenden Text ab. Er ist auch bei geübten Lesern individuell verschieden. Das ist ähnlich wie beim Laufen, wo Schrittlängen, Schrittpositionen und Schrittfrequenz sowohl vom einzelnen Läufer als auch vom Gelände abhängen. Das Kind entscheidet während des Lesevorgangs von Fixationsphase zu Fixationsphase, wie groß das zu lesende Wortsegment sein soll. Versucht es, zu große Wortsegmente zu lesen, so misslingt der Erkennensvorgang. Es treten Lesefehler auf. Wählt das Kind zu kleine Wortsegmente aus, so treten zwar keine Lesefehler auf. Das das Lesen geht aber unnötig langsam voran, da das Kind auch größere Wortsegmente sicher erkennen könnte.
Um ein fehlerfreies und flüssiges Lesen zu gewährleisten, muss demnach die Blicksprunggröße der Länge des von einer Person wahrnehmbaren und erkennbaren Wortsegments angepasst sein. Das Kind entscheidet während des Lesevorgangs auch über die Dauer einer Fixationsphase.

Lesestörungen – Störungsfreies Lesen

Störungsfreies Lesen hängt auch davon ab, ob die Fixationszeit ausreicht, um das innerhalb dieser Fixationsphase zu lesende Wortsegment genau genug wahrzunehmen und die zugehörige Lautfolge und Bedeutungen aus dem Gedächtnis abzurufen. Werden die einzelnen Wortsegmente also nicht lange genug fixiert, kommt es zu Fehlern, also Lesestörungen.

Erfahrungen mit gebräuchlichen Methoden

Die Erfahrung zeigt, dass bei einer beachtlichen Zahl von Kindern, die mithilfe der heute gebräuchlichen Methoden lesen lernen, merkliche und teilweise schwerwiegende Lesestörungen zurückbleiben. Es gibt vielfältige Gründe für solche Lesestörungen. Selbstverständlich muss zunächst eine ausreichende Sehfähigkeit bestehen, damit der zu lesende Text hinreichend genau erkannt werden kann. Außerdem müssen ausgeprägte Augenbewegungsstörungen ausgeschlossen werden. Solche Störungen können leicht im Rahmen einer augenärztlichen bzw. neurologischen Untersuchung festgestellt werden. Sie können nicht im Leseunterricht behoben werden, sondern das Kind braucht z.B. eine Brille.

Tiefer liegende Ursachen

Weitaus problematischer sind diejenigen Störungen, die tiefer liegende Ursachen haben und nicht so einfach nachweisbar sind, aber im Ergebnis zu hartnäckigen ausgeprägten Leseschwächen führen. In diesen Fällen ist eine individuelle Diagnose angezeigt. Dabei muss zunächst festgestellt werden, ob die Lesestörung durch eine gestörte Einzelleistung zustande kommt, die nicht durch eine andere Leistung kompensiert werden konnte oder ob es sich um eine mangelnde Abstimmung zwischen für sich ungestörten Einzelleistungen handelt.

Anpassungsstörungen

Solche „Anpassungsstörungen“ sind besonders häufig und können vielfältige Gründe haben. Eine differenzierte Diagnostik von Lesestörungen muss erkennen, ob eine solche mangelnde Anpassung besteht und welches die Ursachen sind. Dazu muss zunächst untersucht werden, Wortsegmente welcher Größe eine Person überhaupt innerhalb einer Fixationsphase „auf einmal“ wahrnehmen und erkennen kann und wie viel Zeit dazu benötigt wird. Zudem muss die Größe der Blicksprünge einer Person beim Lesen untersucht werden. Erst wenn diese Einzelleistungen bekannt sind, lässt sich beurteilen, ob die genannte „Anpassungsstörung“ als Ursache für die Lesestörung in Frage kommt.