Was verursacht Legasthenie?

Die Ursachen von Legasthenie erkennen und eine wirksame Therapie finden.

Die Studie ist erschienen in:

Restorative Neurology and Neuroscience 37 (2019) 591–608
DOI 10.3233/RNN-190939
IOS Press

Reinhard Werth
Institut für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin , Ludwig-Maximilians-Universität München

Zusammenfassung

Hintergrund

Kinder werden als Legastheniker diagnostiziert, wenn ihre Leseleistung weit unter der liegt, was man aufgrund ihres Alters und Bildungsniveaus erwarten könnte. Die verminderte Leseleistung kann nicht durch ein sensorisches, neurologisches oder psychiatrisches Defizit oder durch einen niedrigen IQ erklärt werden. Obwohl schlechtes Lesen ein großes Hindernis für den schulischen und beruflichen Erfolg ist, sind die Ursachen der Legasthenie bis heute unklar und traditionelle Therapien sind oft erfolglos. Um die Ursachen der Legasthenie zu ermitteln, müssen Experimente zeigen, unter welchen Bedingungen eine Lesestörung auftritt und ob die Leseleistung sich verbessert, wenn diese Bedingungen aufgehoben oder kompensiert werden. Um nicht-reproduzierbare Ergebnisse zu vermeiden, müssen die Versuche wiederholt und die Effektgröße berechnet werden.

Ziele

Ziel der Studie war die Untersuchung der Häufigkeit und Position falsch gelesener Buchstaben innerhalb von Pseudowörtern, der Nachweis der Wirksamkeit der kompensatorischen Lesetherapie und der Nachweis der Reproduzierbarkeit der experimentellen Ergebnisse.
Der Einfluss der Lesetherapie auf die Häufigkeit von Augenbewegungen entgegen der Leserichtung wurde untersucht und die Ursachen für eine schlechte Leseleistung wurden identifiziert.

Patienten und Methoden

Vierzig legasthene Kinder im Alter zwischen 8 und 15 Jahren nahmen an den Untersuchungen teil. Die Anzahl und Position falsch gelesener Buchstaben innerhalb  von Pseudowörtern wurden durch tachystoskopische Darbietung von Pseudowörtern einer Länge zwischen drei und sechs Buchstaben untersucht. Präsentationszeit, Fixationszeitzeit und die Zeit, die benötigt wird, um mit der Aussprache der Wörter zu beginnen (Speach onset latency) wurden so lange verändert, bis 95% der Pseudowörter korrekt erkannt wurden. Auf der Basis dieser Ergebnisse lernten  die Kinder eine Lesestrategie, die die Ursachen der Lesestörung kompensierte. Diese Therapie erwies sich als hochwirksam und die Ergebnisse waren reproduzierbar.

Ergebnisse

Falsch gelesene Buchstaben traten, unabhängig von der Wortlänge, an allen Positionen in Pseudowörtern auf.
Ein falscher Fixationsort innerhalb von Wörtern, zu kurze Fixationszeiten, zu große Sakkadenamplituden, eine verminderte Fähigkeit, eine Buchstabenfolge gleichzeitig zu erkennen, und eine längere Zeit, die benötigt wurde, um die Lautfolgen aus dem Gedächtnis abzurufen, wurden als Ursachen für die Legasthenie identifiziert. Jede der in die in die Meta-Analyse einbezogenen Studien zeigte, dass die hier verwendete kompensatorische Lesetherapie wesentlich effizienter war als konventionelle Therapieverfahren. Die aus diesen Studien errechnete Gesamteffizienz hatte einen Wert von Hedges‘ G = 1,72 und zeigte damit eine reproduzierbare und stabile Wirkung der Therapie.

Schlussfolgerungen

Die Ursachen der Legasthenie können durch einen dualen Interventionsansatz, bestehend aus einem Pseudowortexperiment und dem Erlernen einer kompensatorischen Lesestrategie verdeutlicht werden. Die Leseleistung verbessert sich sofort, wenn die festgestellten Ursachen der Legasthenie durch die hier angewendete kompensatorische Lesetherapie kompensiert werden.

Schlüsselwörter

Legasthenie, Ursachen, Leseschwäche, Therapie, Kinder, Augenbewegungen, Simultanerkennung

Die Studie kann bei bei IOS Press kostenlos heruntergeladen werden